„Es gibt kein anderes Frauenrechtswerk, das so bitchig, votzig und fresh wie dieses ist“, hieß es in der Beschreibung zu Reyhan Şahins Debüt. Mit dem aktuellen Buch knüpft sie daran an. Mit Jana Volkmann sprach sie über Queerfeminismus und ihr „Tobbecken“, den Rap. Aus Buchkultur 186, Foto: Carlos Fernandez Laser.

Buchkultur: In Ihren ersten Buch „Bitchsm“ und in Ihren wissenschaftlichen Arbeiten spielen Kopfbedeckungen muslimischer Frauen bereits eine zentrale Rolle. Gerade in Österreich wird „das“ Kopftuch wieder sehr stark instrumentalisiert, um im Wahlkampf (Symbol-)Politik zu betreiben. Welche Veränderungen haben Sie festgestellt, seit Bitchsm vor sieben Jahren erschienen ist? Konkreter: haben sich die Formen antimuslimischer Hetze seither gewandelt, wie schlägt sich etwa der Rechtsruck im Alltagsleben gerade muslimischer Frauen nieder?

Reyhan Şahin: In meinem Buch „Bitchsm“ (2012, Panini Books) habe ich das Kopftuch so gesehen nur angerissen, in meiner Dissertationstudie „Die Bedeutung des muslimischen Kopftuchs“ (2014, Lit-Verlag) hingegen ausführlich untersucht. Da habe ich das muslimische Kopftuch aus zeichentheoretischer Hinsicht abgehandelt, Kopftuch tragende Musliminnen interviewt, Kopftuch-Bedeutungsvarianten analysiert und diese Frauen in ihren Lebensalltag begleitet. Das Kopftuch in Deutschland ist mittlerweile (leider) zur Projektionsfläche für Rassismus und Islamhass geworden und wird aus verschiedenen Lagern für politische Zwecke instrumentalisiert. Von Rechtspopulist*innen für rassistische Ressentiments und Hetze, von westlich kodierten Feminist*innen für einen paternalistischen, weißen Feminismus, der Women of Color entweder „befreien“ will oder sie ausgrenzt. Oder aber auch von islamistisch geprägten Religionsgemeinden und Communities, die das Kopftuch zu Lasten der Stellung der Frau auslegen und für reaktionäre politisierte Ideologien missbrauchen. Auch markiert das Kopftuch den Scheidepunkt zwischen der Frauenbewegung der zweiten Welle und intersektional bis queerfeministischen Feminist*innen der sogenannten Dritten Welle. Ein kritisch differenzierter feministischer Kopftuch-Diskurs blieb im Zuge solcher Vereinnahmungen bisher auf der Strecke, in „Yalla, Feminismus!“ zeige ich alles Wissenswertes bezüglich des Kopftuchs als Zeichen und die Sackgassen bisheriger Kopftuch-Debatten in Deutschland auf.

Sie gehen in Ihrem neuen Buch auf die teils unverhohlenen, teil versteckten Sexismen in der HipHop-Szene ein. Ich habe mich gefragt, ob es da nicht ungeahnte strukturelle Überschneidungen mit dem akademischen Bereich gibt, der ja nach wie vor auch stark männerdominiert ist?

Sicherlich gibt es strukturelle Parallelen zwischen der alt, weiß, männlich dominierten „Fuckademia“, so nenne ich den deutschen Wissenschaftsbetrieb mittlerweile, und der männlich dominierten, machistisch geprägten HipHop-Szene. In meinem Buch vergleiche ich z.B. die von Männern dominierten Musiklabels mit cis männlich dominierten Fachbereichen in der Forschung, die überwiegend von (cis männlichen, weißen) Professoren geleitet werden und Frauen in diesen Machtasymmetrien höchstens als Studentin, Doktorandin oder wissenschaftliche Mitarbeiterin agieren können, ich nenne sie „Professoren-Harems“. Eine weitere traurige Parallele ist die Ausweglosigkeit, in der sich Frauen bei erlebten Sexismen und Diskriminierung sowohl in der Fuckademia als auch in der Hip Hop-Szene wiederfinden können: trotz Anprangerung von Sexismus ändert sich in diesen männlich dominierten Machtstrukturen nichts, also schweigen viele der Opfer lieber oder verlassen ihren Arbeitsbereich. In beiden Bereichen gibt es keine Instanz, zu der frau beispielsweise bei erlebter sexueller Gewalt hingehen kann und konsequent etwas gegen den Täter getan wird, und das in Zeiten von #metoo, das muss man sich mal vorstellen! Der einzige wichtige Unterschied zwischen dem Hochschulbetrieb und der heutigen Hip Hop-Szene ist, dass die Akteur*innen der mittlerweile migrantisierten Rap-Szenen von Rassismus betroffen sind, was die alten, weißen Herren im Wissenschaftsbetrieb überwiegend nicht sind.

Wie geht es mit Ihrer akademischen Karriere weiter, was haben Sie nun nach Erscheinen des Buchs vor?

In meinem aktuellen Projekt forsche ich zu den Wechselwirkungen von Rechtspopulismus, antimuslimischen Rassismus, Antisemitismus und Feminismus, immer im Hinblick des Einbezugs von „Intersektionalität“, also dem Bereich der Mehrfachdiskriminierung, wo Rassismus und Sexismus zusammenwirken. Irgendwann möchte ich eine Stelle als Professorin besetzen, weil ich jungen Frauen of Color und queeren Menschen zeigen will, dass es auch coole Frauen in solchen patriarchalischen und hierarchischen Hochschulstrukturen gibt, die jüngere Menschen motivieren, ihnen etwas Sinnvolles beibringen und ihnen vielleicht sogar als Vorbild dienen können.

Sie sind Wissenschaftlerin, Rapperin, Aktivistin und Autorin. Das ist bestimmt eine ziemliche Gretchenfrage, aber: wie stehen diese Persönlichkeiten zueinander, nehmen Sie sie als voneinander getrennt wahr, oder sind Sie immer irgendwie alles zugleich?

Ich bin dieselbe Person nur mit unterschiedlichen Skills. Für mich sind diese unterschiedlichen Tätigkeiten selbstverständliche Anteile meiner Identität, die sich gegenseitig beeinflussen, befruchten oder inspirieren. Ohne meine wissenschaftlich analytische Denkfähigkeit wäre ich nicht Lady Bitch Ray, ohne mein künstlerisches, kreatives, narzisstisches Tobbecken mit Rap, Design und Performance nicht Reyhan Şahin. Insbesondere beeinflussen sich dabei auch die verschiedenen Formen des Schreibens. Bemerkenswert finde ich es aber auch, dass solche Mehridentitäten oder die Trennung von bürgerlicher Person und „Kunstfigur“ nur bei Frauen thematisiert oder gar problematisiert werden, weniger bei Männern, die feiert man für ihr Multitasking eher ab und fördert sie.

Sie haben sich ja letztes Jahr auch zu #metoo geäußert; wie bewerten Sie die Aktion nun in der Rückschau, hat sich etwas verändert?

Sexismus-Erfahrungen und sexuelle Gewalt insbesondere von Frauen sind durch #metoo mehr ins Bewusstsein der Mehrheitsgesellschaft gerückt, eine gute Errungenschaft. Durch diese Sichtbarkeit der mitgeteilten Erfahrungen von Frauen in der Filmbranche trauen sich, denke ich, nun mehr Frauen als früher, ihre Sexismus-Erfahrungen öffentlich zu machen oder mit anderen zu teilen. Gleichzeitig bringt dieses Öffentlichmachen auch etwas Voyeuristisches mit sich, manchmal kommt mir es so vor, als ob unsere Gesellschaften nur sich für diese Geschichten interessiert, weil es Frauen sind, denen Leid angetan wurden und man sie nur in dieser Rolle sehen will. Ich würde mir wünschen, dass das Interesse und der Änderungswunsch gegen Sexismus und Rassismus zu agieren auch ohne Leidensgeschichten von Frauen funktionieren würde, aber das bleibt wahrscheinlich nur ein Wunschtraum.

Sie scheinen sich damit schwer zu tun, sich selbst das Label „Feministin“ zu verpassen – zumindest schreiben Sie: „Ich find’s lächerlich, die eigene Identität als Feministin hervorzuheben statt die Zeit dafür zu nutzen, über feministische Inhalte zu diskutieren, die seit Langem anstehen.“ Was halten Sie von dem Begriff Identitätspolitik?

Was ich tue ist, zu erklären, warum ich mich nicht gerne verbal als „Feministin“ definiere, ich beschreibe, dass es beobachtbar ist, dass mehr weiße Frauen sich trauen, sich als Feministin zu bezeichnen und die wichtigen Positionen als Feministinnen besetzen, hingegen Women of Color, Schwarze, muslimische oder etwa kurdische Frauen und queere Menschen, sich eher zurückhalten und in feministischen Diskursen Deutschlands eher unsichtbar und stimmlos sind. Ich befürworte jene Identitätspolitik der ursprünglichen Gebrauchsweise, die in den 1970er Jahren von schwarzen lesbischen Feministinnen in den USA geprägt wurde: als dominierte und marginalisierte Gruppe gegen rassistische, sexistische, heterosexuelle Herrschaftsverhältnisse zu agieren. Denn der Begriff „Identitätspolitik“ geht nämlich auf das „Combahee River Collective“ zurück, das sich gegen Mehrfachdiskriminierung einsetzte, „Combahee River“, weil unter der Führung von Harriet Tubman im Jahre 1863 hunderte von Sklav*innen befreit wurden. Aus dieser Perspektive betrachtet, beleuchte ich in meinem Buch „Yalla, Feminismus!“ unterschiedliche Identitätspolitiken muslimischer, alevitischer, kurdischer und Schwarzer Frauen und rücke dabei Bereiche wie Islam, Alevitentum, Hip Hop und Feminismus in den Fokus.

Reyhan Şahin wurde 1981 in Bremen geboren, wo sie Linguistik und Germanistik studiert hat. Unter dem Namen Lady Bitch Ray ist sie als Rapperin bekannt. 2012 erschien mit „Bitchsm“ ihr erstes Buch. Zwei Jahre später veröffentlichte sie ihre Doktorarbeit, nun ist mit „Yalla, Feminimus“ ein weiteres intersektional feminitisches Sachbuch erschienen.

Yalla, Feminimus (Klett-Cotta), 224 S.