Klug, faszinierend, hochaktuell: Die österreichische Philosophin Lisz Hirn untersucht, weshalb Superhelden heute wieder populär sind und was das über unsere Gesellschaft aussagt. „Wer braucht Superhelden“ ist ein Plädoyer für die Vernunft in Krisenzeiten. Foto: Harald Eisenberger.

Buchkultur: Wer braucht Superhelden? Brauchen wir welche? Und doch bestimmt nicht die, die sich heute als solche gebärden? Wir hoffen doch auf andere, oder?!

Lisz Hirn: Helden und – dann später auch deren Weiterentwicklung, die Superhelden –, tauchen in jeder Kultur über alle Zeiten hinweg auf. Offenbar brauchen wir sie auf eine Art und Weise. Wie sind diese Helden tatsächlich? Was verkörpern sie? Verkörpern sie unsere besten Eigenschaften, unser Optimum, was Menschsein bedeutet? Was tun sie genau? Unsere Superhelden spiegeln auch die aktuellen Herausforderungen. Ein Held wie Achilles wäre heute nicht mehr genug. Jetzt braucht es einen Helden, der Klimakatastrophen, biologische Katastrophen regeln kann, der gegen Roboter kämpft. Die alten klassischen Helden können da nicht mehr mit. Aber spannend ist, was sie überliefern. Und das sind einige sehr bedenkliche Konzepte bezüglich Gewalt, Männlichkeit. Deshalb habe ich auch kein Fragezeichen und kein Rufzeichen im Titel. Denn die eigentliche Frage ist: Wie würde eine Gesellschaft aussehen, die keine Helden mehr braucht? Wie können wir uns die vorstellen? Wären in dieser alle gleich? Wäre die einigermaßen gerecht? In unseren ökonomischen, sozialen Verhältnissen sind Heldenbilder scheinbar notwendig, wie man beispielsweise an der Popularität der Marvel-Helden sehen kann.

Vor kurzem erschien ein Wahlkampfposter der Republikaner, das Trump als Superman zeigt. Was sagen Sie dazu? Wird da bewusst mit diesem Image gespielt?

Ich glaube, es wird bewusst damit gespielt, auch, weil dieses Motiv jedem zugänglich ist. Man muss gar nicht genau verstehen, wie es funktioniert, aber dieses Ideal, dass jemand stark genug, schlagkräftig genug ist, um allen Herausforderungen mit körperlicher Kraft zu begegnen, reicht als starkes Motiv aus. Dass die Superhelden nicht unbedingt vernünftig, sondern auch sehr gewalttätig handeln –, das wird vergessen. Wir haben ohnehin ein riesiges Gewaltproblem in der Gesellschaft: Wie wir mit Gewalt umgehen, wie wir die Ausübung von Gewalt abschieben – wir freuen uns, wenn jemand anderer die Gewaltarbeit für uns übernimmt. Wie zum Beispiel im Bereich des Militärs mit den Drohnen: Da machen es dann eben Maschinen. Oder auch, wenn wir sagen, wir wollen Grenzen schützen, aber es sollen andere machen – da schieben wir unsere persönliche Verantwortung beiseite. Dass das nur bis zu einem gewissen Grad möglich ist, dass dieser sehr seltsame Umgang mit Gewalt Folgen hat, ist auch klar. Und dann gibt es noch die Gewalt in zwischenmenschlichen Beziehungen, zwischen Männern und Frauen. Auch das schlägt wieder in diese Helden-, Superhelden-Kerbe, wo sich auch zeigt, welche Erwartungen wir an Männer, an Männlichkeit haben. Und wieweit Frauen da auch mitspielen und wie sie Gewalt auch erzeugen. Damit will ich nicht sagen, dass die Frauen schuld daran sind, dass ihnen Gewalt widerfährt. Aber viele nähren auch diesen Männlichkeitsmythos, diesen Mythos des starken Mannes: Ich will keinen Softie, aber schon dessen Eigenschaften, aber ich will dann doch den starken Mann, den Superman, der mich beschützt – und das führt dann zu einem Zwiespalt. Um die Männerdominanz zu brechen, müssen sich Frauen auch in bisher unliebsame Felder einbringen. Nehmen wir zum Beispiel das Militär. Wenn sich die Frauen daraus zurückziehen, dann ist es natürlich ein männerdominiertes Feld. Ich halte es für gefährlich, wenn Frauen sich da aus dem Spiel nehmen, denn gerade jetzt, wo es beim Militär nicht mehr um die körperliche Stärke geht, nicht mehr um Waffengewalt, um den Einsatz im Schützengraben, sondern um Drohnen, um unbemannte Flugobjekte, ist die Frage: Wollen wir, dass da noch ein Mensch zwischengeschaltet ist? Wer übt welche Art von Gewalt aus? Wie wird sie legitimiert? Und das sind Fragen, die alle Geschlechter betreffen. Da wäre jetzt die Möglichkeit, die Frauen wirklich reinzuholen. Dass wir in Österreich jetzt erstmals eine Verteidigungsministerin haben, macht mir Hoffnung.

Was könnten Frauen da Positives beitragen oder verändern?

Ich spreche da immer dieses Thema der Digitalisierung oder auch die Programmierung von Algorithmen an, alle diese Zukunftsfelder: Da wesentlich Frauen reinzuholen, die schauen, dass diese Algorithmen geschlechtergerecht programmiert werden, könnte zum Beispiel ein wesentlicher Beitrag sein. Oder auch, dass sie sich mehr in die Frage einbringen, wie Gewalt ausgeübt wird und sich da auch beteiligen im Entscheidungsprozess, und dieses Feld nicht einfach traditionellerweise Männern überlassen. Wo wir jetzt gerade auch an die Zukunft des Heeres denken: Es geht nicht darum, Frauen in die Wehrpflicht zu nehmen, sondern die Frage zu stellen, wie könnte ein Zivildienst ausschauen, der beide Geschlechter betrifft? Da wäre einiges nachzuholen. Zum einen brauchen wir Leute, mehr Man- und Woman-Power, und zum anderen ist auch die Frage: Was verlieren wir auch auf Seiten der Frauen, wenn wir uns daran nicht beteiligen?

Superman alias Clark Kent ist doch im Alltag ein Versager?

Im Unterschied zu den klassischen Helden haben Superhelden ein riesiges Problem mit Sexualität. Das sind alles in der Alltagsexistenz sehr verunsicherte Männer, die überhaupt nicht bei den Frauen ankommen. Das betrifft übrigens auch die Frau als Superheldin: Die erste, Wonder Woman, wird schwach, wenn sie sich verliebt oder sexuellen Kontakt hat. Da klingen noch die klassischen Mythen von den Amazonen an, die keusch leben müssen. Aber das Bild ist kein sehr emanzipatorisches, sicher nicht eines, das auch in sexuellen Beziehungen erlöst wäre. Ich finde es interessant, sich anzuschauen, warum die Superhelden, Superheldinnen jetzt so populär sind – die Filme boomen ja. Welche Vorstellungen vom idealen Menschsein verkörpern sie: dass wir so stark sind wie Maschinen, dass wir Naturkatastrophen aufhalten können, dass wir unbesiegbar sind oder dass wir physisch so unversehrt bleiben, dass wir nicht altern? Sie unterscheiden sich stark von den klassischen Helden, die dadurch verwundbar waren, dass sie Leidenschaften hatten, moralisch anfällig waren, sich noch kopflos verliebt haben. Ich nenne immer das Beispiel von Achilles: ein Wutanfall – und die ganze griechische Armee steht an der Kippe. Das kann Superman nicht passieren: Der ist moralisch integer. Im Buch habe ich das mit dem kategorischen Imperativ verglichen, wo die Pflicht als Erstes steht. Und da sieht man den moralischen Wandel: Wie wir unsere Helden auch konnotieren, wie wir sie sehen wollen. Für mich stellt sich eine weitere Frage: Wie könnte man sich einen noch weiterentwickelten Helden vorstellen? Oder sind wir an einem Endpunkt? Mehr geht nicht?

Im Video schnippt Trump als Superschurke Thanos die Demokratin Nancy Pelosi von der Bildfläche, die daraufhin zu Staub zerfällt. Dann gibt es noch die zahlreichen Fotomontagen und Wahlkampf-Plakate, die ihn in Superman-Pose zeigen.

Superman hat immer schon die Propaganda dieser starken hegemonialen Macht USA verkörpert. Beim zweiten Superhelden, Captain America, ist schon der Name Programm. Aber das sind eindeutig die Helden einer ganz neuen Ära, einer neuen kulturellen, einer neoliberalen und kapitalistischen Ära. Allein wie er sich verkauft: über alle Ländergrenzen hinweg – das ist eine Schlagkraft. Das hat bei den klassischen Helden nicht so gut funktioniert, denn die waren schon gebrandet auf ihre Nation. Die Superhelden sind urbane Helden, die man ohne die Vorstellung von Industrialisierung und Technologisierung nicht denken kann. Was täten wir mit einem Superman im 17. Jahrhundert? Man braucht ja auch etwas, was den Kräften entgegensteht. Und aus diesen Figuren rauszulesen, wie sich unsere Welt entwickelt hat, finde ich sehr spannend. Und das ist super für Trump. Obwohl bei Trump als lustiger Doppeleffekt dazukommt, dass alles, was er verkörpert, tatsächlich eher den Superschurken entspricht, gegen die sich Superman wendet. Das ist ein witziger Zwiespalt. Es gibt ein lustiges Video, in dem der Rapper Kanye West zu Trump kommt und sagt, mit der roten Trump-Kappe „Make Amerika Great Again“ fühle er sich wie Superman, und Trump gäbe ihm dieses Gefühl. Mit ihr fühle er diese Macht. Diese Figur des Superman ist so stark in diesem kulturellen Selbstverständnis, das ist ganz, ganz tief reingegangen. Und das war ja seinerzeit auch der Plan: Superman wurde dafür geschaffen, die Amerikaner zum Eintritt in den Zweiten Weltkrieg zu motivieren.

Und das Witzige ist: Ursprünglich hätte dieser Superheld besonders starke geistige Gaben haben sollen. Seine körperlichen Fähigkeiten waren ursprünglich gar nicht so berauschend. Das ist aber nicht angekommen. Man wollte diesen sehr, sehr maskulinen Typ haben. Wobei Superman seine Muskeln gar nicht braucht, denn die Kraft von Superman ist nicht in den Muskeln oder im Cape, sondern der Tatsache geschuldet, dass er auf der Erde diese Fähigkeiten hat. Da spielt auch dieser Männlichkeitsmythos wieder herein. Ich persönlich bräuchte die Muskeln nicht, aber wer will schon einen schlaksigen oder übergewichtigen Typen in dem engen Outfit sehen? Das ist dann eben der muskelbepackte, schön rasierte und perfekt frisierte Superheld.

Glauben Sie, dass da ganz bewusst mit diesen Bildern gespielt wird?

Ja. Und je leichter verständlich sie sind, desto besser. Wenn man sich die Zahlen der jungen Männer anschaut, die ins Fitnessstudio gehen, um speziell an diesem hypermaskulinen Körper zu arbeiten – es gibt sogar schon ein neues Krankheitsbild, diesen Adonis-Komplex –, das zielt darauf ab, genau diese Art von Panzerung zu erzeugen, sich körperlich stärker von Frauen, aber auch von anderen Männern abzugrenzen. Warum ist das jetzt so wichtig? Wodurch wird das getriggert? Wer fördert das? Es ist natürlich wesentlich davon gefärbt, was wir ständig in Werbungen, in Filmen sehen, was uns transportiert wird, was Männlichkeit ausmacht. Also: Ja, auf jeden Fall, diese Bilder werden absichtlich erzeugt, und es gibt auch einen Grund, warum Supermans Haare so geschnitten sind, warum das Outfit so anliegend ist, und es hat ja aerodynamisch keine Vorteile, diesen Umhang zu haben. Auch an den Farben der Kleidung merkt man den Werbeeffekt: Da wird mit starken Farben gearbeitet, die Wiedererkennungswert haben usw.

Trump muss allerdings montieren lassen, das bringt er nicht mehr.

Das bringt niemand. Trump, Johnson, all die „starken Männer“, die wir haben, die sich auch diesen Anschein von Unbesiegbarkeit, von Stärke geben, wissen nicht nur, was Männlichkeit angeblich ist, sondern versuchen auch, das bis zu einem gewissen Grad zu verkörpern. Putin reitet nicht ohne Grund mit nacktem Oberkörper durch die Gegend. Wenn man sich Studien anschaut, auf wen das wirkt: Lustigerweise wirkt es nicht auf Frauen, sondern vor allem auf Männer.

Trump wurde ja überwiegend von Männern gewählt.

Und das macht dann auch Sinn: Das spricht dann tatsächlich die Männer an, die vielleicht auch verunsichert sind. Da gibt es viele Aspekte, da ist nichts dem Zufall überlassen. Aber es geht schon um diese alten Werte von Stärke, Härte, Unbesiegbarkeit, Durchschlagskraft. Vernunft ist da eher am Rande interessant.

Woher kommt diese Sehnsucht nach dem „starken Mann“? Müssten wir es nach den Ereignissen des Ersten und Zweiten Weltkriegs nicht besser wissen?

Es gibt nicht nur eine Erklärung. Ich habe immer mehrere Ansätze dazu. Punkt eins: Zwei, drei Generationen später ist die direkte Erfahrung verblasst. Punkt zwei: Krisen rufen das Bedürfnis nach Ordnung herauf. Das ist eine anthropologische Konstante. Es ist vielleicht auch verständlich, dass ein gewisses Maß an Sicherheit, Geborgenheit ein Grundbedürfnis ist. Drittens: Vielleicht haben wir es nicht geschafft, andere Bilder zu erzeugen. Obwohl ein Bemühen da ist, auch starke Frauen reinzubringen, scheint das nur bis zu einem gewissen Grad anzukommen. Wir sind so durchtränkt von dieser Vorstellung, dass dieses Heldenbild ein Mann ist: Sei es am Schlachtfeld oder sei es, dass Gewalt in sehr breitem Sinne etwas ist, das Männer ausüben, und nicht Frauen. Solche festen Bilder, die über so lange Zeit fixiert worden sind, sind sehr schwer aufzuweichen und zu zersetzen. Es reicht nicht, Frauen in ein paar Filmen im Superheldinnenkostüm zu zeigen, um das vollkommen aufzuweichen. Wenn man fragt, könnt ihr euch eine starke Frau vorstellen, dann zögern viele: Wie soll die sein? Dann hat man ein Klischeebild, aber man hat keinen Kopf dazu. Vielleicht nennt man da einmal Angela Merkel. Aber es kommt nicht so wirklich ein Bild raus. Ich befürchte, wir haben es nicht geschafft, Bilder zu erzeugen, die die alten Heldenbilder ersetzen.

Die, die derzeit weltweit an der Macht sind, wollen nicht, dass Frauen sich einschalten oder beteiligen. Die gingen doch am liebsten noch einen Schritt zurück: Vater, Mutter, Kinder.

Die Väter kommen im neuen Buch ganz stark vor, genauer: Was es macht, wenn der Vater so abgezogen wird. Entweder er ist abwesend oder er ist fast schon destruktiv da, in dem Sinn, dass er die andere Seite repräsentiert – das, was die Mutter nicht ist. Das hat eine ungute Dynamik, weil es erstens eine Art von Geschlechterseparierung ist, aber auch das Gewaltmonopol auf eine Seite wandert. Es ist linkskonservativ und rechtskonservativ, wie auch die Frau naturalisiert und essentialisiert wird. Zum Beispiel zu sagen, am besten sei es, Frauen von diesen Entscheidungen, auch von diesem Machtbereich, fernzuhalten, weil das nicht zu ihrer „Natur“ passe. In FPÖ-Schriften liest man vom „Brutpflegetrieb“ der Frau. Es ist erschreckend, auch vom Vokabular her. Aber auch von christlicher Seite wird dieses Hingebungsvolle der Frau betont. Ich halte es für wichtig, diese Traditionen zu durchbrechen.

Wie aber sollen Frauen sich angesichts der konservativen Wende einbringen, wenn sie von denen an der Macht nicht zugelassen werden zu bestimmten Feldern?

Wenn, dann muss das von den Frauen ausgehen, dass sie da reingehen. Es wird immer einige Männer geben, die da versuchen, fair zu sein. Diese Männer gibt es, hat es immer gegeben, sonst hätten wir gar keine emanzipatorischen Fortschritte gehabt. Und die muss man auch stützen, denn auch die haben es nicht leicht. Aber man muss Frauen die Selbstverständlichkeit vermitteln, zu sagen, wir sind da, wir nehmen uns ganz selbstverständlich unseren Anteil. Es ist ganz wichtig, auch dieses Bild zu vermitteln, dass wir eine Mehrheit sind, nicht eine geschützte Minderheit. Die Wahrnehmung ist verzerrt, denn wir sind keine Minderheit. Ich finde es seltsam, bei diesen Herausforderungen, die wir haben – nicht nur Klimakrise und Digitalisierung, sondern Migration, Katastrophenschutz usw. –, auf die Hälfte der Bevölkerung zu verzichten, Frauen nicht zu schulen oder ihnen die Möglichkeit zu geben, sich daran zu beteiligen.

Historisch gesehen war es ja gar nicht möglich, auf die Hilfe der Frauen zu verzichten, sie waren während der Weltkriege genauso wie beim Wiederaufbau unverzichtbar. Aber kaum war der geschafft, mussten sie zurück an den Herd. Denken wir nur an die konservativen Fünfzigerjahre.

Ja, ganz genau. Diese Bewegungen sind erklärbar. Aber wir haben jetzt schon andere Voraussetzungen. Es ist nicht mehr nur eine nationale Krise oder eine europäische Krise, sondern wir reden von globalen Problematiken. Wir werden zum Beispiel Arbeit anders denken müssen. Wir wissen nicht, wie sich das Thema künstliche Intelligenz weiterentwickelt, das können wir alles nicht so planen, auch medizinische Technologien – da kommen wir zum Transhumanismus hin –, und in all diesen Bereichen ist es wichtig, dass auch Frauen rechtzeitig mitreden.

Heute haben wir so viele gut ausgebildete Frauen wie nie zuvor. Trotzdem erledigen sie nach wie vor 75 Prozent der unbezahlten Arbeit, das schließt Kinderbetreuung, Versorgung der (alten) Eltern usw. mit ein. Dazu kommt die Armuts- und Pensionsfalle der Mütter, die nach der Geburt ihrer Kinder nur mehr Teilzeit arbeiten (können). Nach dem ersten Kind leben viele Familien nach den alten traditionellen Mustern.

Das ist ein großes Problem, weil wir eine strukturelle Diskriminierung von Frauen im Pensions- und Steuersystem haben. Die Frage ist also, wie können wir Gesellschaft gestalten, dass es nicht um Aufrechnen geht, aber dass das Gefühl von Rechten und Pflichten so weit ausgewogen ist, dass man sagt, Frauen steigen nicht schlechter aus, für die ist auch gesorgt, auch wenn sie unbezahlte Arbeit machen, dass sie zumindest im Alter nicht von Armut bedroht sind?

Was müsste politisch passieren, damit das geschieht?

Man könnte sich einiges abschauen. Es gibt einige Modelle, die vielversprechend sind. Nicht nur in Island, auch in Norwegen, wo zum Beispiel der Wehrdienst beziehungsweise Zivildienst für junge Frauen eingeführt und auch zugelassen wurde, dass Männer beim Militär längere Haare haben dürfen. Krieg in dem Sinn gibt es so nicht mehr, wir haben es mit neuen Phänomenen zu tun. Warum versuchen wir nicht, uns offen damit zu beschäftigen, zum Beispiel neue Konzepte einzuführen, wie das möglich ist, wer was bedienen kann. Wir sehen an den skandinavischen Ländern, dass es dort von der Bezahlung her und von der Gleichheit zwischen den Geschlechtern her viel besser ausschaut. Wir haben schon sehr, sehr starke Vorstellungen auch davon, was Frausein bedeutet und wie sich das äußern kann. Da hilft der internationale Vergleich zu schauen, was funktioniert wo gut und warum können wir das nicht probieren, auf lange Sicht einmal damit experimentieren. Denn wir wissen, wie die Finanzierung aussieht, und wir wissen, wie die Zahl der Gewaltfälle der Männer an Frauen ist, und die ist auch im Steigen.

Ist die steigende Gewalt auch eine Folge der Politik der sogenannten starken Männer an der Spitze?

Zumindest gefällt es einigen, wenn ihnen ein Mann da oben sagt, dass sie nicht auf ihre Privilegien verzichten müssen, dass sie sich noch mehr Freiraum rausholen könnten oder unter ihnen auf jeden Fall noch Platz ist. Da ist es spannend, auf die USA zu schauen, weil ich immer die Befürchtung habe, dass sich diese Modelle später dann auch in Europa abbilden. Diese Incel-Bewegung zum Beispiel – diese jungen Männer, die rechts wählen –, die ganz stark rassistisch, sexistisch konnotiert ist, ist eine der Bewegungen, die man im Auge behalten muss. Vor allem ihr Ressentiment. Was wurde Männern an Privilegien genommen, und wo sind auch keine Maßnahmen getroffen worden, um deren Aggressionen abzufangen? Wo haben die ein Ventil? Aber das rechtfertigt nicht ihren Hass und ihre Gewalt, das möchte ich auch gar nicht tun.

Haben diese Männer Angst vor den Frauen, vor dem Anderen, vor dem Fremden?

Ich fand es interessant zu lesen, warum ein Mann eine Frau tötet. In den meisten Fällen tut er es, weil sie ihn verlassen will. Er will sie halten, sie sagt, ich will nicht mehr. Das ist dann die letzte Möglichkeit, sie zu halten. Umgekehrt ist es ganz anders: In den wenigen Fällen, in denen Frauen Männer töten, ist es zu einem großen Teil deshalb, weil sie sich befreien wollen – und zwar endgültig. Sie wollen ihn nicht halten, sie wollen sich befreien. Es ist ein Ausweg. Das zeigt sehr deutlich nicht nur die Hierarchie, sondern auch die Art, wie die Frau gesehen wird, nämlich als Besitz. Als etwas, was dem Mann gehört, was mit Eifersucht gehütet wird. Das darf man nicht unterschätzen und glauben, das hätte sich in den letzten zwanzig, dreißig Jahren verwandelt – diese Bilder ändern sich äußerst langsam.

Dieses Denken, dass die Frau kein gleichwertiger Mensch ist – Finden wir das nicht schon bei den alten Griechen und dann später im christlich geprägten Abendland?

Ja, das ganze Denken ist gefärbt dadurch, als was Frauen definiert werden: Werden sie als ganze Menschen gesehen oder nicht? Im Großteil der aufgeschriebenen Geschichte ist das nicht der Fall. Diese Ideen ändern sich nicht so schnell und sie bilden sich vor allem immer noch ab. Egal, in welchem System, von Pension bis Steuer, und auch in der Familie. Die Frage ist: Wie kommt man diesen Bildern aus?

Zudem stehen Frauen heute unter einer Vielfachbelastung. Sie verrichten immer noch den Großteil der Hausarbeit und der Kinderbetreuung und sollen auch noch 40 Stunden arbeiten gehen.

Nehmen wir die Situation im deutschsprachigen Raum: Wir haben unglaublich niedrige Geburtenraten. Wir sind in den Rankings, was die Gleichstellung angeht, hinten nach, tun aber aktiv wenig dagegen. Wir wollen aber gleichzeitig die Frauen dazu motivieren, mehr Kinder zu bekommen. Schlechter kann man Familienpolitik nicht machen. Es ist ja nicht so, dass Frauen keine Kinder bekommen wollen. Aber sie wollen Bedingungen, unter denen das möglich ist, ohne sich vollkommen aufzureiben, und unter denen sie ihren Kindern gute Lebensumstände bieten können. Wir haben auch eine sehr hohe Rate an Schwangerschaftsabbrüchen. Zu sagen: Machen wir das schwieriger, damit die Frauen dann die Kinder kriegen, ist zynisch. Die Frauen treffen diese Entscheidung ja aus ihren aktuellen Lebensumständen heraus. Man kann ganz einfache Maßnahmen treffen. Wir müssen nur ins Ausland schauen. Das fängt an mit guter Sexualaufklärung, kostenloser Verhütung wie in vielen anderen Ländern. Schwangerschaftsabbruch – warum übernimmt das zumindest am Anfang der Schwangerschaft nicht die Krankenkasse, wenn sie ungewollt eintritt, was ja jederzeit passieren kann? Der zweite Punkt betrifft die Öffnungszeiten von Kindergärten. In Frankreich werden die Kindergartenöffnungszeiten an die Arbeitszeiten und Berufe der Eltern angepasst. Davon sind wir hier weit entfernt. Und drittens, wenn es um politische Repräsentation geht: Wie kann das möglich gemacht werden, dass wir nicht eine Situation haben wie die, dass die Interims-Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein oder die deutsche Kanzlerin Angela Merkel sagen, dass diese Karriere mit Kind nicht möglich gewesen wäre? Da fehlt mir der Aufschrei!

Wobei ich es gut fand, dass sie das so ehrlich zugaben.

Ja, und es zeigt, wie das System gerade läuft. Aber zu sagen: Das ist eben so, dann muss man auf Kinder verzichten –, das finde ich unvernünftig. Es gibt auch Frauen, die keine Kinder wollen. Aber die Frauen vor die Wahl zu stellen, entweder von ihrem Job leben zu können oder sich für ein Kind und möglicherweise einen Mann und Abhängigkeiten zu entscheiden – da verstehe ich, dass Frauen sich ein Kind oder gar ein zweites gut überlegen. Viertens: Vom Partner müssten die Frauen eine faire Aufteilung einfordern. Und fünftens kann gerade die Frau in der Mutterrolle, die jetzt noch sehr oft so viel mehr an Erziehungsarbeit zu leisten hat, die Rollenbilder des Kindes beeinflussen. Es gibt also individuelle Aspekte, die jeder wahrnehmen kann, aber es wird ohne die politischen Maßnahmen nicht möglich sein.

Was halten Sie von der #MeToo-Bewegung?

Sie hat einen Aspekt von Gewalt herausgebracht, der stark mit Sexualität verbunden ist, hat diese Gewaltproblematik aber nicht umfassend aufgemacht. Deshalb auch der Versuch, von der sexuellen Gewalt einen Schritt zurückzugehen und sich das noch einmal gesamt anzuschauen unter dem Aspekt – und jetzt kommt das Philosophische dran –, was ist, wenn wir diesen Gewaltaspekt nicht negieren können? Wenn wir annehmen müssen, wir haben diese Gewalt als Topic und als anthropologische Konstante? Das würde dann auch bedeuten, dass wir uns sehr offen damit konfrontieren müssen. Das tun wir beim Sport, aber vielleicht müssen wir diesen Aspekt noch viel genauer und viel schärfer anschauen.

Sport als Ventil?

Sport als Ventil, ja. Die Fälle aufzuzeigen, wo Gewalt passiert, ist wichtig. Aber der Diskurs muss breiter sein. Ich finde auch den Begriff „toxische Männlichkeit“ gefährlich, weil da die Diskussion zwischen den Geschlechtern automatisch brachliegt. Aber die Diskussion über destruktive Männlichkeitskonzepte ist wichtig. Bei den klassischen Helden ist das noch offenkundig körperlich, mit Blut. Bei den Superhelden ist es schon gemäßigter. Da wird nicht mehr jeder umgebracht, das wird nicht mehr so gezeigt, das ist schon besser, schöner, steriler, ausgelagerter. Aber in Wirklichkeit schlagen wir uns immer mit denselben Konzepten herum.

Haben Sie die Hoffnung, dass sich auch in der Gewaltprävention etwas zum Positiven verändern würde, wenn Frauen sich in den angesprochenen Feldern, Sparten mehr einbrächten, wie zum Beispiel Militär etc.?

Ja, ich hätte die Hoffnung, dass sich im Sinne von Gewaltprävention etwas ändern würde, wenn sich Frauen in diesen Sparten überhaupt einbrächten.

Wie passt unser alter, neuer Bundeskanzler Kurz in dieses Superhelden-Bild? Er war der große Gewinner der Wahl, obwohl er den 12-Stunden-Tag eingeführt hat, Sozialkürzungen veranlasst hat usw. Weshalb hat er diesen Nimbus?

Er hat es geschafft, diesen jungen starken Mann rüberzubringen, der sehr unbequeme Entscheidungen trifft und auch die Entscheidungen der sogenannten starken Männer wie Orbán, Johnson usw. unterstützt und genau diesen Kurs fährt. In einem neoliberalen System ist es super, jung, fit, gut angezogen zu sein und dann noch „harte“ Entscheidungen zu treffen.

In Ihrem Buch gibt es ein eigenes Kapitel über Angst. Ängste werden heute wieder besonders geschürt, besonders von den Konservativen, von den Rechten. Ist das auch diese Angst vor dem Fremden, die Sie im Buch ansprechen?

Ja, wobei ich glaube, dass diese Angst ständig da ist. Aber es gibt Zeiten, in denen das Fremde besser verkauft wird – zum Beispiel als Chance. Als Chance, neue Märkte zu eröffnen, Arbeitskräfte zu gewinnen, ein Pensionssystem zu stabilisieren. So kann man es ja auch sehen. Und dann gibt es die Variante: Man muss sich abschotten, man muss wieder viel auf Identität setzen, man muss Strukturen stabilisieren und schauen, dass man seine Schäfchen ins Trockene bringt, weil man im Moment von Fremden nicht so profitieren kann, wie man es sich vorstellt. Im Moment ist dieser Kurs eingeschlagen. Spannend ist die Art und Weise, wie Ängste wahrgenommen werden. Diese Fake-Ängste im Vergleich zu realen Risiken. Ich finde da das Impf-Beispiel sehr schön, Trump hat sich da sehr positioniert. Zuerst hat er gemeint, Impfen geht auf keinen Fall, weil das so ein großes Risiko für den Einzelnen ist. Als dann aber der große Masern-Ausbruch in den USA war, und er auch von der nationalen Gesundheitsbehörde aufgefordert worden ist, sofort zurückzurudern, weil das so bedrohlich war, hat er die Menschen dann zum Impfen aufgerufen. Ähnlich dieser Angst haben wir es mit vielen verschiedenen diffusen Ängsten zu tun. Wir treffen teilweise sehr seltsame, unvernünftige und unlogische Entscheidungen. Wir fühlen uns sehr aufgeklärt, aber ängstigen uns gleichzeitig vor Dingen, vor denen wir uns – wissenschaftlich gesehen, gut fundiert und belegbar –, nicht fürchten müssten. Und andere Dinge, die als bewiesen gelten, scheinen uns gar nicht zu kümmern. Die Klimakrise dringt jetzt langsam in unser Bewusstsein. Ich habe manchmal den Eindruck, dass wir ein neues Zeitalter der Unvernunft haben, in dem die gefühlte Angst plötzlich wichtiger ist als Fakten oder eine Expertenmeinung. Das halte ich für eine sehr gefährliche Entwicklung: Dass dieses Gefühlte plötzlich so viel mehr Macht bekommt als auf Fakten basierendes Wissen, als eigenständiges Nachdenken darüber, Recherchieren, Expertenmeinungen.

Betrifft das auch die geschürten Ängste vor Migration? Es gibt gewalttätige Ausschreitungen und Übergriffe einzelner Menschen mit Migrationshintergrund. Statistisch gesehen passiert die meiste Gewalt aber in den (österreichischen) Kernfamilien. Das wird aber gerne unter den Tisch gekehrt.

Das ist das Problem. Auch die meisten Unfälle passieren im Haushalt und nicht draußen. Aber gefühlt fühlt man sich zuhause sicher. Man kann sich auch anhand von Masernerkrankungen das Risiko der Impfschäden ausrechnen. Dieser Prozentsatz ist unglaublich gering. Aber persönlich betroffen – nicht auf das Kollektiv ausgerechnet – ist ein minimales Risiko auch ein Risiko. Dieses Denken, diese Vernunft, diese Urteilskraft muss man entwickeln. An der muss man arbeiten. Das ist leider nichts, was wir von Haus aus haben. Das ist etwas, das man gelernt haben muss, was wir selber kultivieren können. Und wenn ich diese Urteilskraft nicht habe, weil ich nie die Chance hatte, die auszubilden, bin ich immer das Opfer der Gefühle, die geschürt werden, der Medien, aber auch der Filme. Im Moment sehe ich auch kein Fach, wo das geschult wird. Vielleicht, wenn man Glück hat, noch im Fach Geschichte und politische Bildung, aber das wird auch nicht alles abdecken können.

Sie sind eine Befürworterin des verpflichtenden Ethikunterrichts an den Schulen? Wie soll der aussehen? Wie können wir davon profitieren?

Wir haben keine Räume, wo Menschen mit so unterschiedlichem Background zusammenkommen können wie zum Beispiel in einem Ethikunterricht in der Schule. Es geht nicht darum, dass man Inhalte vermittelt, sondern dass man den Rahmen für die Diskussion zentraler Fragen bietet. Das können Geschlechterbeziehungen, politische Einstellungen sein, die Reflexion über Normen, über mögliche Implikationen zum Thema Sexualität bis Gewalt sein. Es geht nicht darum, dogmatische Antworten zu erarbeiten, sondern überhaupt einmal in eine Art von Kommunikation zu treten mit anderen Meinungen. Ich würde den Religionsunterricht trotzdem nicht ganz fallen lassen. Ich bin dafür, Religionen vergleichend reinzunehmen, weil religiöser Analphabetismus auch ein Problem ist. Gar nicht zu wissen, worum es in einer anderen Religion geht, das vollkommen auszulagern, da keine andere Perspektive zu haben – was wird in der Kirche, was wird in einer Moschee, was wird in einer Synagoge gesagt –, hielte ich auch für verfehlt. Einen guten Überblick zu geben: Worum geht es da? Wo kommt das her? Welche Ideen sind da stark? Wo gibt es Ungerechtigkeiten? Das hielte ich schon für wichtig. Dass man rausgeht und einen Eindruck hat, wie Normen, Gebote und Verbote funktionieren. Der Ethikunterricht sollte dagegen kein Werteunterricht sein, sondern ein moralinfreier, religionsneutraler Raum, wo religiöse Einstellungen für die Diskussion keine Rolle spielen. Ethik beschäftigt sich nicht mit Inhalten, sondern mit den Strukturen. Es ist etwas anderes, in einem katholischen Religionsunterricht über Sexualität und über Geschlechterbeziehungen zu reden, denn da gibt es Dogmen und Gebote im Hintergrund – das ist ja auch der Sinn von Religion, diese Normen zu vermitteln –, als in einem Raum, wo man einigermaßen sicher sein kann, dass er ideologiebewusst ist.

Was halten Sie vom gendergerechten, politisch korrekten Sprechen und Schreiben? Ist das nicht Symptombekämpfung?

Die Diskussion um die Repräsentation von Frauen in der Sprache finde ich wichtig. Ich finde es leidig, wenn gesagt wird, dass Frauen mitgedacht werden. Man kann das einfache Beispiel bringen, dass man nur noch die „-innen“-Form schreibt und die Männer mitdenkt. Das käme ziemlich sicher nicht gut an. Allerdings hilft das alles nichts, wenn ich keine weiteren politischen Maßnahmen treffe. Schwierig finde ich, wenn Werke umgeschrieben oder Sachen rausgelöscht werden. Ich bin nicht dafür, dass man etwa rassistische oder sexistische Wörter einfach stehenlässt, aber ich bin dafür, dass man sie in einen Kontext setzt und Anmerkungen macht, dass man zum Beispiel mit einer Fußnote auf einen problematischen Kontext hinweist oder es im Unterricht problematisiert. Es ist wichtig, zu sagen und auch zu zeigen, dass sich auch Sprache, Gesellschaft und Denken weiterentwickeln. Zu sagen: So war das einmal. Das sehen wir heute aus guten Gründen nicht mehr so.

Sie sind nicht nur für die Frauen-, sondern auch für eine Mütterquote? Was dürfen wir uns darunter vorstellen?

In Gesprächen mit Frauen stellt man – und zwar zu über neunzig Prozent – fest, dass der Unterschied zwischen den Geschlechtern dann virulent wird, wenn Frauen ihr erstes Kind bekommen. Dass der Unterschied zwischen kinderlosen Frauen und Frauen mit Kindern sehr schlagend wird. Siehe das Beispiel mit der ehemaligen Bundeskanzlerin Bierlein, die sagt, mit Kind wäre ihre Karriere so nicht möglich gewesen. Die Idee einer Mütterquote sollte anregen darüber nachzudenken, welche Bedingungen wir schaffen müssen, dass auch Mütter zum Beispiel in politischen Ämtern ausreichend repräsentiert sein können. Ich denke nur an Kindergartenöffnungszeiten: Wenn die wichtigen Sitzungen auch in politischen Fragen um 20 Uhr in einem Hinterkammerl sind, wird das für Frauen, die auch unbezahlte Care-Arbeit leisten etc., schwer möglich sein. Es geht also darum, anzudenken, wie könnten wir unser System so verbessern, dass das weniger Rolle spielt, ob man ein Kind hat oder nicht.

Sie waren auch für die Grünen im Bezirk tätig: Was erhoffen Sie sich von der neuen Regierung?

Die Grünen sind vor allem ihrer Klimapolitik wegen gewählt worden. Das, hoffe ich, werden sie ganz forciert und ganz stark angehen, denn ansonsten haben sie ein Problem. Was ich mir auch noch erhoffe in einem kleineren, aber wichtigen Bereich: Dass sie im Sinne von Frauenrechten endlich diesen leidigen Paragraphen streichen, der Schwangerschaftsabbruch nach der Frist mit einem Jahr Gefängnis bedroht. Dass der endlich weg ist, auch wenn sich niemand mehr traut, ihn zu vollziehen. Und dass in Richtung Gender-Pay-Gap und Frauenquote viel, viel mehr gefordert wird. Weniger symbolpolitisch im Sinne von Sprachregelung, sondern ganz aktiv: Studien wieder aufzunehmen zur Ungleichheit zwischen Männern und Frauen, die ja auch abgeschaltet worden sind, und auch wieder die Förderungen anzukurbeln zum Schutz der Frauen vor Gewalt, Frauenhäuser wieder zu stärken. Solche Maßnahmen, die durch die türkis-blaue Regierung weggebrochen sind, wieder anzukurbeln und wieder voll zu etablieren. Für mich ist es jedenfalls wichtig, genug Distanz zur Parteipolitik zu bewahren, um sich nicht von ihr vereinnahmen zu lassen.

Wie kamen Sie zur Philosophie? Wie kann man die Philosophie alltagstauglich machen? Wie können wir sie in unser Leben hereinholen? Was hat sie uns zu sagen? Hat sie auch die Verpflichtung, politisch zu sein?

Zum ersten: Ich bin über die Theologie, über die Religion, zur Philosophie gekommen. Meine Religionslehrer waren die, mit denen man am besten diskutieren und streiten konnte und die sich auch mit den philosophischen Fragen auseinandergesetzt haben. Ich habe mich dann aber weder für Dogmatik noch für die Glaubensdinge interessiert.

Wie darf man sich Ihre Arbeit als Philosophin vorstellen?

Ich arbeite auf mehreren Ebenen. Ich arbeite auf der Universität als Lehrende, im Lehrgang Philosophische Praxis, und speziell in die Richtung Philosophische Praxis als Gesellschaftskritik und im Kultur- und Kunstbereich. Nebenbei publiziere ich, teils akademisch, aber auch breiter. Und dann habe ich Projekte wie Philosophieren mit Kindern. Und es gibt auch Trainings für Firmen, die konzipiert werden, oder Jugendprojekte mit Magistraten zusammen. Ich fand Philosophie immer in der Praxis verankert. Wenn ich mit dem Verein für praxisnahe Philosophie zusammenarbeite, achten wir darauf, dass wir uns aktuelle Problemstellungen vornehmen. Und holen dann Wissenschaftler und Künstler von anderen Disziplinen und sagen, wir arbeiten an diesem Projekt, und schauen gemeinsam, wie wir diese Idee so vermitteln können, dass sie verständlich für die Zielgruppe ist. Langweilig wird mir selten.

Ihr Buch ist ein Plädoyer für die Rückbesinnung auf die Vernunft im Sinne Kants?

Das Schlimme ist ja, dass man sich selber auch immer wieder dabei ertappt, dass man in den meisten Situationen vollkommen unvernünftig reagiert. Ich bin weit davon entfernt, zu glauben, wir schaffen es, so befreit und so vernünftig zu sein, dass wir in dieser idealen Welt von Kant leben. Aber es ist notwendig, ein gewisses Maß an Urteilskraft zu entwickeln, damit wir in einer Demokratie fähig sind, gut fundierte Entscheidungen zu treffen, und einigermaßen zivilisiert miteinander umgehen können. Da ein paar Denkwerkzeuge zu haben, kann immens helfen. Ich habe einige Beispiele ins Buch hineingetan, um zu zeigen, wo wir mit unserer Urteilskraft scheitern müssen, wo wir als Gesellschaft entscheiden, was gut ist und was nicht. Ist unterlassen strafbar? Ist eingreifen strafbar? Was machen wir? Wo wir einen Sprung machen. Dass wir uns dessen bewusst werden, wo wir das tun, und ein bisschen anzuregen, auch nachzuspüren, wo die eigenen Vorurteile liegen, wo wir die Sprünge selber machen – das war mir ein Anliegen. Diese Art von Selbsterkenntnis, auch wenn sie noch so klein ist, hilft weiter, gewisse Ängste zu überwinden, gewisse Muster zu durchschauen und ein bisschen gewappneter zu sein gegenüber diesen Fake News, die hereinbrechen, gegenüber diesen „starken Männern“, die uns militarisieren wollen, die auch eine Gefahr sind für die vielen technischen, medizinischen Errungenschaften, die wir hätten und die uns auch ein gutes Leben gewähren könnten.

Sie haben eine dreieinhalbjährige Tochter. Wie schaffen Sie es, Beruf mit Kind und Muttersein zu vereinbaren?

Ich habe das Glück, einen Partner zu haben, der sehr stark zu Fairness erzogen worden ist und der mich da auch sehr freispielt. Ich habe auch versucht, das sehr genau auszureden. Und jetzt ist es so, dass manchmal er, manchmal ich mehr habe. Wir ringen darum und es geht sich gut aus. Aber ich habe großen Respekt vor Alleinerziehenden. Ich weiß nicht, wie die das machen. Einen Partner zu haben, auf den ich mich verlassen kann, das sehe ich als großes Privileg an.

Lisz Hirn wurde 1984 in Leoben geboren und studierte Philosophie und Gesang in Graz, Paris, Wien und Kathmandu. Sie arbeitet als Philosophin, Publizistin und Dozentin in der Jugend- und Erwachsenenbildung, u.a. am Universitätslehrgang „Philosophische Praxis“ der Universität Wien unter der Leitung von Konrad Paul Liessmann. Sie ist Obfrau des „Vereins für praxisnahe Philosophie“ und Vorstandsmitglied der „Gesellschaft für angewandte Philosophie“. Als freiberufliche Künstlerin beteiligt sie sich an Kunstprojekten und Ausstellungen.

„Wer braucht Superhelden. Was wirklich nötig ist, um unsere Welt zu retten“ (Molden), 160 S.

„Geht’s noch! Warum die konservative Wende für Frauen gefährlich ist“ (Molden), 144 S.